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Berliner Sphärenwerk: Dark Matter

Licht lockt Leute. Wenn Bewegung dazu kommt und Musik, entstehen Gesamtkunstwerke. Wie jetzt in Berlin: Christopher Bauder lässt ab dem Wochenende seine Lichter tanzen. Die ElectriCity an der Spree kriegt ein Arttechouse wie Tokyo, New York und Miami. Überfällig nach der bleinernen Pandemie-Zeit.

Von Helmut Maternus Bien

Christopher Bauder hat mitten in der Pandemie die Initiative ergriffen und nicht länger auf andere gewartet, die vielleicht Einladungen zu Festivals aussprechen könnten oder Aufträge erteilen. Er hat das getan, was er immer getan hat: Bauder hat ‚gemacht’ was in seiner eigenen Macht steht: Unweit seines Fablabs richtet er in diesen Tagen eine Spielstätte für seine kinetischen Kunstwerke ein. Man darf gespannt sein, wie lang die Schlangen sein werden, die an seiner ‚Dark matter’-Black Box anstehen werden. Dem Kunst-Entrepreneur wird vermutlich auch dieses Start-up an der Rummelsburger Bucht gelingen.

Die Nachbarschaften haben eine gute Ausstrahlung. Das Funkhaus Nalepastraße nicht weit entfernt, auch der ruinöse DDR-Vergnügungspark Plänterwald liegt gegenüber auf der anderen Seite der Spree und in der Nähe beobachtet Künstler-Forscher Tómas Saraceno Fäden ziehende Spinnen und ihren Beitrag zum Spider Space utopischer Luftarchitekturen. Auch seine Forschungsergebnisse sind eher weltweit als in Berlin zu sehen.

Das Publikum findet Bauder jenseits der Subventions-Kultur, es liebt Bauders Installationen und kauft Tickets für das Erlebnis der Installationen wie für ein Pop-Konzert. Er selbst wirkt bei den Performances mindestens so abwesend wie früher die Kraftwerk-Maschinenmusiker in ihrer suggestiven Elektro-Trance. Bauder übernimmt die Rolle eines DJ, der von seinen Mischpulten aus die Reaktionen seiner Objekte manipuliert. Bei einem Projekt ist er physisch abwesend, weil die Choreographien seiner Mobiles fest vorprogrammiert sind, beim anderen ergeben sich die Bewegungsabläufe sensorgesteuert aus den Reaktionen und Aktivitäten des Publikums selbst.

Sein unerhörter Publikumserfolg macht ihn für einen nölenden Kunstbetrieb verdächtig, der übersättigt das Hermetische feiert und auf exklusive Distinktionsgewinne aus ist. Vielleicht beschreibt man Bauder am besten, wenn man ihn einen ‚Kunst-Ingenieur’ nennt. Jemand, bei dem Ideen und Können noch zusammenhängen. Er verschwindet lieber hinter seinem Werk als selbst den großen Weltenerklärer zu markieren. Seine Erläuterungen haben etwas ‚Wegwerfendes’. Als wollte er sagen: Probiert’s halt selbst aus, Leute. Was soll ich viele Worte machen?

Dabei ist er der Erste aus der Riege der sogenannten ‚Licht-Künstler’, der es in den Duden geschafft hat. Seine ‚Lichtgrenze’, die zigkilometerlange von Ballonen markierte Linie der Berliner Mauer, ließ er 25 Jahre nach dem Sturm auf sie, einfach nochmal in die Luft fliegen. Nach Christos Reichstagsverhüllung war dies die zweite emblematische Kunstinszenierung der jungen Berliner Republik. Eigentlich wäre eine Ehrenbürgerschaft fällig gewesen. Nach diesem Welterfolg sorgten Zwerge aus der Berliner Kulturverwaltung dafür, dass da niemandes Bäume in den Himmel wachsen. Gönnen können geht eben nicht in einer alten Partei-Soldatenstadt, ‚Hinten anstellen’ ist da noch immer die erste Bürgerpflicht. So kam es, dass lange von Christopher Bauder in Berlin nichts zu sehen war bis auf seine Gigs beim CTM-Festival, das aus der transmediale herausgewachsen ist. Ansonsten war er international unterwegs. Wie viele andere Koryphäen auch, die zwar in Berlin leben aber ihr Geld woanders verdienen. Auf Dauer ein unguter Zustand.

Wenn man es berlinisch banalisierend sagen möchte: Bauders Kernkompetenz ist die Digitalisierung des Flaschenzugs. Er vermag die Auf- und Ab-Bewegungen von Seilzügen elektronisch so zu steuern, dass daraus mechanische Objekt-Balletts entstehen, in denen nicht mehr der Zufall regiert sondern die Welt von einem Regisseur und Controllfreak gelenkt wird.

Bauder verdanken wir faszinierende Mobile-Installationen, die den dreidimensionalen Raum als Matrix nutzen. Leuchtkörper, Luftballons, Monitore bewegen sich akkurat und präzise nach einer 3d-Raumpartitur. Sie schwingen und baumeln, schaukeln, beschleunigen, bremsen ab und verharren, sie wechseln ihre Farbe oder bilden Formationen, die als Massenornamente wahrgenommen werden. Oskar Schlemmer mit seinem mechanischen Ballett wäre vermutlich rot geworden und Siegfried Krakauer hätte den Vergleich mit den schwingenden Beinen der Revue-Girls aus dem Friedrichstadt-Palast beschworen.

Bauder inszeniert solche Luftnummern. Die Teilnehmenden seiner Performances legt er auf die Matte. Sie liegen oder sitzen am Boden unter dem Spiel der Formationen über ihren Köpfen. Damit hat er den traditionellen Bühnenraum gekippt. Wir schauen nicht mehr nach vorn sondern nach oben und sind potenziell betroffen von jedem gefährlichen Fehler über den Köpfen. Das verleiht ihnen einen zusätzlichen Thrill. Ob seine Installationen auch einen ‚Totmannschalter’ haben, das wäre schon noch interessant. Voraussetzungen für die Aufführungen sind Black Boxes, die Dunkelheit ist bedeutsam (Dark matters) und Voraussetzung seiner Programmierkunst.

Die Neugier für Christopher Bauders Installationen speist sich auch aus dem Interesse für immersive Kunstwerke. Die Berliner Festspiele haben dieser Gattung eher wenig überzeugende Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau gewidmet. Sie hätten Bauder fragen sollen. Immersion, also der Distanzverlust bei der Kunstwahrnehmung oder die Überwältigung durch multisensuale Eindrücke, ist im Ansatz nichts Neues. Die Tradition lässt sich zurückverfolgen bis zu den gotischen Kathedralen, die das himmlische Jerusalem auf Erden errichten in ihren filigranen Lichtarchitekturen des umbauten Lichtes. Kein Wunder, dass eine um Wirkung bemühte Kirche heute gern und oft mit Lichtkünstlern arbeitet. Ein ‚immersive turn’ für die Buch-Religion zeichnet sich da ab, die eigentlich auf das Wort baut und jetzt die Magie des Raumes aktiviert. Die Kirche dürfte da eher ganz weit vorne sein als hintendran.

Es ist eben das äußerst diesseitige Bedürfnis der Menschen, probeweise das Tal der Tränen und der Bullshit-Jobs zu verlassen oder sich rauschhaft dionysisch hinzugeben und zu erleben, was sich situativ und zufällig so ergeben könnte. Ein solcher Eskapismus, der den Rausch des Kontrollverlustes positiv erlebt, hat viele Formen und reicht vom simplen Besäufnis bis zum Burning Man Festival in der Wüste. Erweckungserlebnisse müssen durch den Rausch, um danach wieder Worte zu finden.

Nach der Pandemie, ebenfalls ein immersives Großereignis, dürfte es für Räusche aller Art Hochkonjunkturen geben, um diesen Kontrollverlust mit einem weiteren Kontrollverlust ungeschehen zu machen. Die Logik von Gift und Gegengift. Bauders ‚Dark matter’ könnte da mit seiner schwarzen Black-Box-Kaaba zu einem Mekka der Läuterung werden.

Aber es wäre völlig falsch, Bauder auf eine affirmative Schiene zu setzen und sein Werk sozialingenieursmäßig auszudeuten. Die immersiven Künste werden scharf als neue Totalitarismen kritisiert von Kunsttheoretikern, die an der Aufteilung der Welt in Subjekte und Objekte festhalten möchten und aus dieser Distanz heraus auch die Kritik der Verhältnisse ausüben. Natürlich wollen Künstler-Autoren ihre eigenen Welten erschaffen und haben seit Richard Wagners ‚Gesamtkunstwerk’ eine Betriebsanleitung dafür. Bei Bauder sind – wie in der Augsburger Puppenkiste – die Fäden zu sehen, an denen die Objekte hängen. Es wird keine Illusion erzeugt sondern Bauder zeigt, wie es funktioniert und auch, dass es jeder könnte, der beim Coding aufgepasst und ein paar Nerd-Kompetenzen sein eigen nennt. Bauders Arbeiten beschwören kein Genie und auch keine Exklusivität, nie war der schweißtreibende Fleiß offensichtlicher, der zum künstlerischen Können dazugehört.

Technologie macht Bauder anschlussfähig, denn Gesamtkunstwerke sind keine Genie- sondern Team-Arbeit. Es ist kein Zufall, dass Bauder mit Musikern wie Robert Henke zusammenarbeitet. Henke ist selbst ein Pionier der elektronischen Musik, deren Schlüssel-Technologie und Link zur Digitalisierung der Synthesizer ist. „Technology is the key for music“, gab Brian Eno als Parole aus. Henke hat sich ähnlich wie Bauder die Werkzeuge für seine Kompositionskunst selbst geschaffen und sie mit der eigenen Ableton-Software auch für die ganze Szene zugänglich gemacht. Beide treten gelegentlich gemeinsam auf. Der eine macht Live-Musik, der andere choreographiert ihre Visualisierung im Raum. Auch hier mündet der Entwicklungsstrang der Visual Music eines Oskar Fischinger in die digitale Kunstproduktion ein.

Bauders Arbeiten sind im besten Sinne ‚anthropozän’, weil sie die ‚dominante’ Rolle des Menschen beim Welten-Schaffen vorführen, wozu sich Technologien einsetzen lassen und dass Wachstum künftig schon aus ökologischen Gründen vor allem im Wissen und Bewusstsein stattfinden sollte. Den Kritikern, die mehr Distanz einklagen, könnte man mit dem Bonner Philosophie-Star Markus Gabriel zurufen, dass die Aufspaltung der Welt in Subjekte und Objekte schon der Fehler ist. Sie spalte das Subjekt von der Welt ab und separiere es, obwohl es als Makroorganismus ja gerade nur durch Wechselwirkungen mit Milliarden anderem Leben selbst überhaupt lebensfähig bleibt. Bruno Latour und Peter Weibel zeigen gerade am ZKM Karlsruhe diese ‚Critical Zone’ , in der und mit der wir leben. Die Welt ist kein Bühnenhintergrund sondern wir sind selbst Teil des Stücks, das da aufgeführt wird.

Genau das lässt uns Christopher Bauder spüren. Quod erat demonstrandum. Auf den Rummel an der Bucht im Osten Berlins darf man gespannt sein.

Fotos: Angelika Kroll-Marth