Menü Schließen

Wider die Zombie-Economy: Chris Cuhls‘ Hexenritt durch die Event-Szene

Gratulation, Chris Cuhls! Dein Buch ‚Why, How, WoW – What’s next? Events im Wandel – gerade erschienen – kommt genau zum richtigen Zeit. Eine Herkules-Leistung im Selbstverlag! Leider muss man heutzutage vielzuviel selbst machen, damit es was wird….

Es ist ein Panorama von Positionen und Kompetenzen rund um Events entstanden inmitten des Lockdown-Schocks. Wenn aus dem Leiden an der Situation wieder Leidenschaft für neue Aufgabenstellungen wird und sich neue Chancen abzeichnen – vor allem für hybride Veranstaltungsformate. Es ist unter den 33 Stimmen keine dabei, die die Zukunft auf dem Zuckerberg des Metaversums sieht.

Das Buch selbst ist ein Hybrid. Es verbindet kurze Zusammenfassungen der Gespräche im Buchformat mit den QR-Codes der Expert:innen-Podcasts auf Spotify. So kommen die Stimmen selbst zu Wort, spontan und im Dialog. Bei der Verfertigung der Gedanken ist man dabei. Was für ein scharfer Kontrast zu den hirntoten Messeabsagen der vergangenen Monate. Da meldet sich eine neue Generation zu Wort, die maximal entfernt ist von der Zombie-Economy in den Monostrukturen deutscher Hallenplantagen.

Events sind überlebenswichtig für die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Kultur. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass der ganze Erfahrungsschatz der zeitbasierten Medien jetzt fruchtbar gemacht wird für die Regie und Inszenierung der Live-Kommunikation. Das Buch verbindet why, how und wow. Es ist nicht der Mut der Verzweiflung, sondern der Schmerz über den Verlust der alten Gewohnheiten, der umschlägt in eine neue Leichtigkeit, Lässigkeit, eine Schönheit, die dem Humor eine Gasse freiräumt. Es ist der Ton einer neuen Zeit, der hier angeschlagen wird. Den Vergleich mit den 1920er Jahren, der einmal kurz anklingt, sehe ich eher kritisch. Ja, auch damals gab‘s den Tanz auf dem Vulkan, die neuesten Technologien wie das Radio landeten aber auch ganz schnell bei den schlimmsten Fingern.

Die Veranstaltungsbranchen befinden sich in einem disruptiven Transformationsprozess. Hybrid ist das neue Normal. Die Chance, mal wieder die Wahrheit zu sagen und den Ballast der alten Lebenslügen loszuwerden, die Veranstaltungen mit den Augen des Publikums sehen zu dürfen und nicht durch die gefärbte Brille der Auftraggeber. Denn auch die sind verunsichert und müssen schnell lernen und mehr zulassen als je zuvor in den letzten Jahren. ‚Umparken im Kopf‘ ist bei allen angesagt.

Aber natürlich finden sich auch ein paar großmäulige Statements, die mit einem Schwall von Abkürzungen von AR, VXR, UI und UX und ‚bidirektionaler Konnektivität‘ schon mal ihre Eier schaukeln lassen und feuchte Träume von den ängstlichen Anfragen verschreckter Auftraggeber erleben, die sich mit den neuen Kompetenz-Hengsten auf die richtige Seite in Sicherheit bringen wollen. Es überwiegen die Anti-Schwerelos-Statements, die Probleme benennen und es ehrlich meinen, wenn sie befürchten, dass die Zerstreuungsmedien der Bildschirme und Screens noch kaum darauf ausgerichtet sind, das Publikum auf die Botschaften zu fokussieren. Sie suchen nach Formen, um Distanz-Zuschauer doch zu Teilnehmern zu machen. Die beständigen Interruptionen durchs SMSen und Zwitschern gehen auf den Geist und mindern erheblich die Fähigkeit der Menschen, überhaupt noch etwas im Gedächtnis zu behalten.

Denen, die die alte Normalität wiederhaben wollen, ruft der digitale Evangelist Karl-Heinz Land zu: „Aber sollten wir auch wollen, dass es wieder so wird, wie es war?“ Darin stecke doch die dreiste Unterstellung, dass es vorher gut war wie es war. Und das wäre doch ein schwaches Bild für Leute, die mit ihrer Arbeit doch dem Neuen eine Bühne bieten wollten.

Ein bisschen Befremden lösen die Stimmen aus, die sich so angestrengt um Wirkung und Aufmerksamkeit sorgen und sie tracken, triggern und vermessen wollen. Da kündigt sich ein neues Suprematie-Denken an, dass in den Gästen doch wieder Quotenfutter sieht, das geknetet und bewirtschaftet werden will.

Beruhigend ist die Selbstkritik des Eventpsychologen Steffen Ronft, der die Eventmanagement-Ausbildung als viel zu eng aufgestellt sieht: allein auf die betriebswirtschaftliche und organisatorische Perspektiven ausgerichtet. Vielleicht speist sich daraus die Hilflosigkeit beispielsweise von Messeveranstaltern, die nur schwer aus ihren Komfortzonen herauskommen und deshalb auf Veränderung nur mit Ablehnung reagieren können. Denen entgleiten augenblicklich die Kunden, die wie Wasser nach neuen Formaten suchen, um dem Bedürfnis nach Austausch Formate zu verleihen.

Die Euphorie, die Dinge neu denken zu können, schwitzt auch einen neuen Jargon aus, den man sich erst mal draufschaffen muss, um künftig mitzureden, wenn es um den ‚hybriden Dreisprung‘ (Daniel Moj) geht: Hybridity of technology, context and audience. Viel Glück bei Olympia!

Herrlich, einer neuen Generation beim Gibberichen zuzuhören, wenn man sich – um Deuwel komm raus – von den alten Schnarchnasen unterscheiden und dem Neuen Ausdruck geben will. Am Ende wird auch wieder nur mit Wasser gekocht und alles nicht so heiß gegessen. Chris Cuhls lässt uns in die brodelnden Töpfe schauen und der Leser/Hörer ist optimistisch und entspannt, wenn es dann endlich weitergeht mit neuen Dreisprüngen bei Kongressen und Messen und in der Kultur.

Absolut empfehlenswert! 5 von 5 Amplituden-Ausschlägen auf dem Eventometer.

Erhältlich im Selbstverlag bei www.chriscuhls.de
160 Seiten, 24,95€, ISBN 978-3-00-071282-1

Warnhinweis:
Ich selbst bin in der neuen Staffel des Podcasts von Chris Cuhls unter der laufenden Nummer #34 interviewt worden:
Interview: What’s Next? – Events im Wandel
und trotzdem in keiner Weise voreingenommen oder parteiisch. Die vorgetragene Position entspricht meiner wirklichen Meinung (echt) und ist in keiner Weise weichgespühlt worden. Dafür bitte ich um Nachsicht.