Kunst am Bau-Wettbewerb RMCC, Wiesbaden –
Traum eines Preisrichters:
Frau Nakaya und ihr Gespür für Nebel –
Wiesbaden sucht ein Kunstwerk für den Stadtraum zwischen dem RheinMain CongressCenter und dem Museum Wiesbaden. In wenigen Monaten wird dieses Ensemble das Museum Ernst komplettieren. Hier entsteht ein attraktiver Stadtplatz vergleichbar nur mit dem Bowling Green zwischen Kurhaus, Staatstheater und Nassauer Hof. Noch ist der Platz Corona-bedingt vergleichsweise unbelebt und bleibt weit unter den Möglichkeiten. Das könnte sich rasch ändern.
Es müsste ein Kunstwerk sein, das Besucher anzieht und sie zu vielen Assoziationen einlädt und pars pro toto Wiesbaden wieder ein wenig glänzen und schillern ließe. Der Glanz gehört zu dieser Stadt dazu, sie war schon etwas Besonderes als sich die Römer in den heißen Dampf setzten und die Aquae Mattiacis genossen. Dass später zu den sprudelnden Quellen auch noch die moussierenden Schaumweine und sprudelnden Sekte dazu kamen, entwickelte ein Habitat, das die ‚Wilhelmstraße‘ als ‚Rue‘ rauschend abheben ließ. Und dieser Hang zum Extravaganten und Exklusiven, die Bereitschaft, Reichtum zu zelebrieren und nicht klandestin zu verstecken, dieses Extrovertierte, hat sich in Wiesbaden eine wunderbare operettenhafte Kulisse erschaffen. Die Architektur des Historismus ruft aus der Architekturgeschichte auf, was Rang und Namen verspricht, nimmt in vielem die Postmoderne vorweg. Protz und Prunk werden in Wiesbaden selbstironisch gebrochen und als Klischee und im Klatsch durchschaut, en passant auch verspottet oder zurechtgerückt. Die ‚Klassik‘ des RMCC ist dafür ein schönes Beispiel.
Aus den Quellen sprudeln nicht nur wichtige Einkommensquellen. Die Fernwirkung Wiesbadens lebt von diesem scheinriesenhaften Image. In Wiesbaden unterhielt die UFA ihr einziges Außenstudio, aus dem sich später das ZDF gründete. Und Wiesbaden wurde zum Traumwohnsitz in der Nähe der Traumfabriken. Heute tauchen solche Träume vor allem in den Banken auf, den Versicherungen, den Steuerkanzleien und Vermögensverwaltungen oder in den Pharmaunternehmen in der Peripherie. Wiesbaden folgt dabei eisern der 3G-Regel: Geld und Gesundheit sind Gateways zum Glück. Wiesbaden am Ende des Regenbogens.
Wasser fördert die Gesundheit. Die Haut ist das größte Organ des Menschen, sie vermittelt zwischen äußeren und inneren Zuständen, ist sensibel und dankbar empfänglich für die Schwerelosigkeit im Wasser, die lindernde Wirkung auf Gelenke und Knochen, die beruhigende Wirkung auf Verdauung und Kreislauf. Und ist der Kopf erst frei, weckt das die Lebensgeister und stimuliert die Phantasie. ‚Du musst Dein Leben ändern‘, diese Rainer Maria Rilke-Formel ist gleichsam der ewige Kurschatten.
Leider ist die Bewerbung um den UNESCO-Status als Weltkulturerbe in die Hose gegangen. An solche Misserfolge sollte man sich gar nicht erst gewöhnen, sondern aus Niederlagen lernen wie alle klugen Verlierer. Das Wasser bleibt für die Stadt so oder so identitätsstiftend wie kein anderes Element. Deshalb ist 2022 auch zum Wasser-Jahr ausgerufen worden. Das kann nur ein Auftakt sein. Denn augenscheinlich braucht die Stadt mehr Spa-Bewusstsein. Das läge ohnehin im Trend.
Wasser ist die Kraft mit der größten Gestaltungsmacht in der Erdgeschichte. Deshalb wollen alle Raumfahrer immer zuerst wissen, ob es Wasser gibt auf dem inspizierten Planeten. In Wiesbaden hat der Einsturz der Salzbach-Talbrücke diese Gestalt gebende Kraft wieder vor Augen geführt. Der Salzbach ist es auch, der das Stadtareal geprägt hat, den es im Gestaltungswettbewerb neu zu erfinden gilt. Wo einst die Mühlen klappern, da treffen sich heute die Bürgerinnen und Bürger, sei es im Bereich des Schlachthofs, des Museums oder des Kongresscentrums für Konzert, Kultur, Kommunikation und Kreativität.
Auch das Kongresszentrum ist dem Wasser entstiegen. Am Anfang stand das Kurhaus, das allerdings in den 1860er Jahren durch Dostojewski’s Spieler in Verruf geriet. Von der heilenden Langeweile des Bades sollten die Aufregungen des Spielbankbetriebs Ablenkung verschaffen. Mit der ‚Roulettenburg‘ ging diese Balance flöten. Aus diesem Image-Einbruch führte die Vorgängerorganisation der Gesellschaft für innere Medizin heraus. Seit 125 Jahren verschafft sie der Kurstadt ein zweites Standbein: Kongressstadt Wiesbaden. Fortan tanzte in Wiesbaden der Kongress. Bis heute – und nicht nur Mediziner sondern auch Sportler und Celebrities rund um das goldene Bamby.
Kongresse sind keine rein geistige Veranstaltungen sondern auch Ereignisse, die den ganzen Körper fordern. Kommunikation ließe sich heutzutage komplett digitalisieren, ginge es nur um den sogenannten ‚Content‘. Menschen aber brauchen die Begegnung von Angesicht zu Angesicht, um Vertrauen zu fassen. Mimik und Gestik, Kleidung und Auftreten spielen eine riesige Rolle. Alle wissen doch, wie entscheidend der erste Eindruck ist. Sowohl die Griechen wie die Römer nutzten die Thermen als geschützte und entrückte Orte für die Meinungsbildung und die Fortbildung, Geschäfte und das Networking. Kolonnaden markierten die Wege für Lehrgespräche, weil sich manches im Gehen leichter verstehen und besser behalten lässt.
Wiesbaden braucht unbedingt ein Wasserkunstwerk im Stadtraum zwischen RMCC und den beiden Museen, weil es den Genius Loci mit den aktuellen Funktionen und dem Image verbindet. Und damit auch die anderen Wasser-Stellen im Stadtgebiet wieder mehr Auftrieb kriegen wie der Koch- oder der Bäckerbrunnen. Sie zogen schließlich prominente Trinker an wie etwa Nam June Paik, der sich dort für seine Aufenthalte an der Düsseldorfer Kunstakademie Heilwasser abfüllte. Das zu planende Kunstwerk muss extravagant sein und sich deutlich distanzieren von der 3B-Regel der Standard-Stadtplanung: Brünnlein, Bänklein, Bäumlein, um vorauseilend latenten Bürger-Unmut zu dämpfen.
Die Lösung ist die Beauftragung von Fujiko Nakaya!
Nicht deswegen, weil ihr Altersgenosse Fumihiko Maki gerade das Museum Ernst baut. Frau Nakaya hat sich ein Leben lang mit Wasser beschäftigt. Schon ihr Physiker-Vater hat das erste künstliche Eiskristall hergestellt. Die Aggregatzustände des Wassers sind ihr also vertraut und sie hat sich für den Nebel als ihr Künstlerlebensthema entschieden, jenes Dazwischen, jene ephemere Erscheinungsweise des Wassers, die entsteht, wenn warm und kalt aufeinandertreffen, und sich Wolken bilden. Frau Nakaya ist ‚Fog‘-Artistin, sie wird weltweit eingeladen, um Gebäude, Plätze und Landschaften im Nebel verschwinden und wieder auftauchen zu lassen.
Der Nebel ist eine wunderbare Metapher für unsere Jetztzeit, in der die Politik auf Sicht fährt, weil wir durch Neuland navigieren und mit bisher nicht bekannten Herausforderungen zurechtkommen müssen. Derweil das Wissen in Clouds abgespeichert wird. Und was für die Politik gilt, trifft auch auf viele Geschäftsmodelle zu wie etwa das Kongressgeschäft.
Kongresse, Gipfeltreffen und Konferenzen sind die bevorzugten Plätze, um sich an aufgetürmten Wolken aus Wissen, Fragen und möglichen Antworten abzuarbeiten und für Klarsicht zu sorgen. Deshalb scheint mir gerade der ephemere (vorübergehende, verschwindende) Charakter einer Fog-Installation genau das Richtige zu sein, in Wiesbaden die unterschiedlichen ästhetischen Stränge zu bündeln. Die Extravaganz und Authentizität des Ortes, die Traditionsströme der Kur- und Kongressstadt und die Intervention in einer Stadt, die wie keine andere, eine Work-Life-Balance verspricht, die sich in ihren öffentlichen Räumen erlebbar machen sollte. Schließlich das Wasser als Gegenüber einer abstrahierenden Kunst, die sich auf das Universale fokussiert und die Sinnlichkeit als Uhrsprung ihrer Ästhetik (Wahrnehmungslehre) feiert. Das Nebel-Kunstwerk wäre niemals mit sich identisch, bliebe ephemer, so liquide wie fluxiv und letztlich sowohl für Goethe, der wohlwollend von seinem Treppenabsatz auf das Treiben schaut, als auch den Avantgarde-Traditionen des Wiesbadener Museums angemessen.
Deshalb möchte ich Frau Fujiko Nakaya als Künstlerin vorschlagen. Sie hat den Praemium Imperiale gewonnen, der als Nobelpreis der Kunst gilt. Sie hat große und kleine spektakuläre Arbeiten im öffentlichen Raum verwirklicht. Ihr wird demnächst in Europa eine große Retrospektive gewidmet. Ihr minimalistisches Konzept, das auf die Wahrnehmung mit allen Sinnen zielt, ist von allen gesellschaftlichen Schichten barrierefrei wahrnehmbar. Kinder sind begeistert. Ihre Arbeit verbessert im Sommer sogar das Stadtklima, entschleunigt, inkludiert, ist divers und schafft einen Anlaufpunkt für alle, der zu Interaktionen mit Kunst einlädt.
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Habemus Nebulae – Aquae Mattiacis
Helmut Maternus Bien
Fotos: Angelika Kroll-Marth