Karl Foerster, der legendäre Garten-Philosoph, wusste vor hundert Jahren schon ein Rezept gegen die Verschotterung der Freiflächen: den Staudengarten. Er appellierte an die Intelligenz der Faulen. Pflanzt Stauden, sie bedecken zuverlässig die offenen Flächen und nehmen dem Unkraut den Raum zur Entfaltung. Stauden sind nicht nur gut für die Convenience von Gartenbesitzern, die ihre Wochenenden nicht auf Knien in den Beeten verbringen wollen, sondern für die der eigene Garten eher Augenweide und Trophäe bleiben soll.
Karl Foersters Mustergarten in Bornim bei Potsdam ist einer der meist besuchten Privatgärten in Deutschland, weiß die Führerin der Deutschen Stiftung Denkmalschutz zu berichten, die das Gelände nach dem Tod der Tochter übernommen hat. Der Garten steht jeden Tag offen, die Pforte ist nur angelehnt, die Landhaus-Villa im Muthesius-Stil bleibt fest verschlossen. Lediglich Spenden können durch einen winzigen Schlitz in der Haustür gesteckt werden. Eine Handvoll Leute sind im Garten unterwegs. Kaffeefahrten wie ins nahe gelegene Krongut Bornstedt sind hier undenkbar. Dafür sorgt auch die äußerst bescheidene Ausschilderung.
Foerster fackelt als echter Berliner nicht lange und zeigt sein Bestes auf den ersten Blick über den Zaun. Der trichterförmig angelegte Senkgarten zieht die Blicke mit seinen Staudenbüschen und Blütenkissen. Farne, Gräser und Wiesenblumen entfalten ihre karge Pracht. Das Landhaus bildet den mächtigen Hintergrund und erklärt das Ganze zum Menschenwerk. Schon den Zeitgenossen galt das Bornimer Idyll als ein Worpswede der Gartenkunst.
Das weitgehend eingewachsene Zentrum bildet der Teich. Terrassenförmig gruppieren sich niedere Gehölze, Stauden und Beete darum. Foersters Mutter war Malerin und hat ihn für die impressionistische Kombination der Farben sensibilisiert. Die Pflanzen mit in ihrer Größe und Ausdehnung, in ihren Blattformen und Blütentypen zeigen die verschwenderische Formenvielfalt und kombinieren sich zu einer symphonischen Wildheit, in der alle ihre Plätze und Rollen finden, die Blicke fangen und ihnen die Richtung geben. In diese Senke schauend und staunend einzutauchen und die Pflanzen auf Augenhöhe wahrzunehmen, schüttet Glückshormone aus und stiftet Intimität und Harmonie. Man versenkt sich buchstäblich in das Ambiente. Kies im Zen-Garten harken scheint angesichts solch schwelgerischen Überfülle ein eher trostloses Unterfangen.
In der Endphase der Belle Epoque kurz vor dem Ersten Weltkrieg zog Foerster mit seinem Staudenzuchtbetrieb vom gentrifizierten teuer gewordenen Berliner Westend auf den ruppigen Kartoffelacker gleich hinter den Schlosspark Sanssouci. Im eigenen Mustergarten zeigte Foerster sein gärtnerisches Gesamtkunstwerk. Kunst und Leben verschmolzen hier, die beiden Gärtnerei-Esel hörten auf die Namen Tristan und Isolde. Goethes Farbenlehre, Jean Paul und Hölderlin inspirierten den hohen Ton von Karl Foersters schwelgerischer Gartenprosa, in der Blüten natürlich von Engelhänden geformt werden. Heute legt das Ensemble eine direkte Spur zur Manufactum-Welt, in der es sie noch gibt, die wahren und guten Dinge.
Es ist erstaunlich, was Karl Foerster alles nicht konnte und auch nicht machte. Zum Beispiel Gärtnern. Dafür hatte er helfende Hände, die ihm die Erdarbeiten und das Teilen der Pflanzen abnahmen. Er hatte sich trotz Warnungen seiner besorgten Mutter in der enthusiastisch betriebenen Gartenbau-Lehre den Rücken ruiniert. Foerster konzentrierte sich als Züchter auf die Beobachtung der Eigenschaften und auf die Auslese. Auf seine Selektion gehen hunderte von Varianten besonders von Rittersporn und Pflox zurück, denen er sprechende Namen gab wie ‚Gletscherwasser‘, Azurriese‘, ‚Berghimmel‘ oder ‚Landhochzeit‘, ‚Kirchenfürst‘ oder ‚Puderquaste‘. Auch so befeuerte er die Begehrlichkeiten des botanisierenden Bürgertums und lieferte robuste, krankheitstolerante, standfeste und mehltauresistente Pflanzen für das preußisch-deutsche Mikroklima.
Foerster konnte schreiben aber nicht tippen. Auch da war er auf weiblichen Beistand angewiesen. Und auch das Rechnen war nicht sein Ding. Seine Staudengärtnerei betrieb er wie eine Liebhaberei, war auf die Unterstützung der Familie angewiesen, auf Freunde und Förderer und später in den DDR-Jahrzehnten auch auf die sanfte Landung in einem volkseigenen Betrieb. Seinen Betrieb subventionierte er quer durch sein Schreiben und Sprechen. Seine Schriften waren Bestseller. In den Ersten Weltkrieg zogen die Soldaten nicht nur mit Hölderlin im Tornister sondern auch mit Foersters ‚Vom Blütengarten der Zukunft‘. Heile Welten im Schützengraben.
Foerster hörte sich auch gern reden. Bilder zeigen ihn inmitten von andächtig lauschenden Gästen. Den Kopf in späteren Jahren mit einer Art Thierse-Baskenmütze bedeckt, einem Enblem für Künstlertum und Widerständigkeit, Abweichlertum und einem leichten Hang dazu, das letzte Wort behalten zu wollen.
Die Virtuosität im Umgang mit der Öffentlichkeit hatte er sich von Kindesbeinen an bei seinem Vater abschauen können. Wilhelm Foerster war im Sternenhimmel zu Hause wie sonst niemand in Preußen, er gründete die Sternwarte in Berlin, erwarb große Verdienste um die Normalzeit und die Einführung von Normen aller Art. ‚Made in Germany‘ machte sich fit für den friedensstiftenden Welthandel. Daran glaubte der Vater, er war Pazifist, engagierte sich gegen den heiß laufenden Nationalismus, war eng mit Albert Einstein und – das Wichtigste – begründete die Urania-Gesellschaft, die in ihrem Wissenschafts-Theaterbau spektakuläre Erkenntnisse unter den Bürger brachte und den Glauben an den Segen des wissenschaftlichen Fortschritts festigte sowie an die Macht des Wissens überhaupt. Bis heute ist die Urania eine feste Burg des deutschen Bildungsbürger- und -beamtentums. Foerster war der Sproß dieser deutschen Mandarinkultur. Während der Vater in den Himmel schaute, wühlte der Sohn in der Erde. Vielleicht einer der Gründe, warum sich die beiden ein für Preußen selten gutes Vater-Sohn-Verhältnis hatten. ‚Naturnähe ist Himmelsnähe‘,schlug Sohn Karl später die Brücke.
Karl Foerster war in einem ganz modernen Sinne ein Medienunternehmer. Er gründete mit der ‚Gartenschönheit‘ eine eigene Zeitschrift, setzte früh auf Illustration und Pflanzenphotographie unterhielt beste Kontakte zu Photographen wie Blossfeldt oder Renger-Patzsch und Architekten wie Scharoun, Poelzig oder Mies van der Rohe und hielt weihevolle Lichtbilder-Vorträge zu seinen Leib- und Magenthemen. Foerster machte seine Leidenschaft zum Geschäft wie es auf ihren Gebieten später Leute wie Wolfram Siebeck oder Alfred Biolek machten. Die Zeit könnte wieder reif sein für einen neuen Garten-Propheten. Die Leerstelle ist noch unbesetzt.
‚Es wird durchgeblüht‘ war eines seiner sprichwörtlichen Kommandos an die Beete. Den Garten empfahl er in Räume aufzuteilen und auf die Jahreszeiten auszurichten. So ließ sich dafür zu sorgen, dass neben dem Grünen auch immer farbige Blüten und Früchte die Blicke auf sich zogen. Auch darin war er ein Moderner, der Außen- und Innenraum miteinander in Dialog bringen wollte. In Zeichen des Klimawandels verschwimmen aktuell wieder die Grenzen zwischen Outdoor und Indoor. Die japanischen Architekten haben dieses Denken befördert. Inzwischen ist das Außen das neue Innen und die Outdoor-Abteilungen der Baumärkte bieten Sofas für die Gärten, komplette Außenküchen, ja sogar wasserfeste Teppiche für die Terrassen und Balkone. Der Taubenschlag, Goethe-Bänkchen und monströse Ostramonda-Bank sowie das Bali-Häuschen für die Tochter zeigen, dass eine zeitgeistige Möblierung auch Foerster nicht fremd war. Gärten sollten nicht länger kalte Pracht sein, sondern auch Kindern Raum zum Spielen bieten.
Foerster waren die viktorianischen Blumen-Paraden zuwider, wo Stiefmütterchen und Schlüsselblumen im Gleichtakt blühten und Blütenteppiche bildeten. Ihm ging es eben nicht um die feudalen Park- und Landschaftsgärten, die das Potsdam von Lenné und Pückler-Muskau bis heute prägen, sondern seine Zielgruppe war das Bürgertum, die von Großstädtern zu Gartenstädtern werden wollten. Die Gärten markierten Status, waren aber als grüne Zimmer für die Familie zu verstehen. Foerster bediente dieses Bedürfnis und nahm vieles vorweg. Heute werden ganze Landschaftsräume en miniature bis ins Bonsai-Format nachgebildet und auch in den urbanen Raum integriert. Beispielsweise bei Piet Oudolf, der mit mehrjährigen Pflanzen, Stauden, Gräsern und Wiesenblumen Touristenmagnete wie die New Yorker ‚High Line‘ in urbane Wildnis verwandelt…
Der Garten wurde gerade in Deutschland zum einem mentalen Rückzugsort, in dem die Unbilden des Lebens abzuwettern sind. Dass das Wort ‚Kindergarten‘ in so viele Sprachen übernommen wurde als Synonym für einen safe space, hat hier seine Wurzeln. Aktuell liegt der Corona-bedingte Garten-Boom ganz auf dieser Linie. Eine Welt, die zu groß erscheint, um sie in Ordnung zu bringen, wird im Kleinen auf Harmonie getrimmt. Ein Ort, an dem sich demonstrieren lässt, noch alles im Griff zu haben. Selbstwirksamkeit lässt sich mit Schere und Harke bestens ausleben. Karl Foerster ist für dieses Typus des Gartenflüchters eine Leitfigur.
Beginnend mit Goethes Gartenhaus an der Ilm lässt sich da eine Linie ziehen, in die auch die Schrebergärten gehören, aus denen sich ganze Familien in Kriegen wie Phasen der Arbeitslosigkeit nicht nur beschäftigt, sondern auch ernährt haben. In Datschen-Idyllen lebt die DDR auch nach der Wende weiter als wäre nichts gewesen. Wichtigstes Requisit ist der Zaun, der das eigene Grundstück blickdicht abschließt, potenzielle Eindringlinge abschreckt und ein Grenzregime erlaubt.
An Gärten lässt sich die mentale Befindlichkeit ihrer Besitzer ablesen. Foersters Nachbarschaft zeigt die Empathiewellen seines beispielgebenden Gartens. Gleich nebendran lädt ein stiller Verkäufer zum Teilen ein. Ausgelesene Bücher werden hier zusammen mit einzeln beschrifteten und ausgezeichneten Gartenfrüchten dargeboten. Kaum besser lässt sich eine umfassende Beherrschung der eigenen Lebensverhältnisse demonstrieren.
Die Zeit des Nationalsozialismus konnte der Staudenzuchtbetrieb halbwegs abwettern, ein Nazi führte im Garten die Geschäfte und auf den letzten Drücker landete auch Foerster in der Partei. Nach dem Krieg stand speziell im russisch stark geprägten Potsdam das kulturelle Erbe des Humanismus in großer Blüte. Foersters von Goethe grundierter Gartenfrieden erlaubte die Arrangements. Karl Foerster wurde eine Professur an der Humboldt-Universität angetragen und er gehörte zum ‚Turm‘-Milieu, das Tellkamp für Dresden so trefflich beschreibt.
Das Herz der Potsdamer hatte Foerster längst mit der Anlage des Schaugartens auf der Freundschaftsinsel inmitten der Havel gewonnen. Dieses städtebauliche Filetstück wurde freigehalten und zu einem Volkspark umgestaltet. Der Name leitete sich nicht von der unverbrüchlichen Bruderliebe zur Sowjetunion, sondern von einer dort gelegenen Ausflugsgaststätte ‚Zur Freundschaft‘ ab. Und der Park mit seinen beschrifteten Pflanzen wurde zum beliebten Rendezvous-Treffpunkt in der staubigen, zementgrauen Garnisonsstadt.
Inzwischen gehen die reprivatisierte Staudengärtnerei und das Garten-Denkmal getrennte Wege. Hier ist auseinandergewachsen, was eigentlich zusammengehört. Die Potsdamer Stadtgärtner kümmern sich um den Garten und die Bundesgartenschau 2004 war ein letzter Energieschub für das Ensemble. Aktuell dominieren Abgrenzungs- und Zaunstreitigkeiten das Verhältnis. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Kontakt-Telefonnummer des Garten-Denkmals dreißig Jahre nach der Wende eine Bonner Vorwahl hat.